14-01-2022
Was versteht die EU unter Whistleblowing?
Die ganz neue Compliance-Regelung ist auf den Schutz der Personen, die Anzeigen über Verstöße gegen das Unionsrecht erstatten, ausgerichtet

Die Regelung des sog. Whistleblowings (Melden, Enthüllen) ist eine zusätzliche Garantie für die Beachtung der Gesetze, die Disziplinierung der Arbeitgeber und Unternehmen und die Sicherstellung eines Mechanismus zur Aufdeckung von Verstößen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, der Produktsicherheit, der Finanzdienstleistungen usw., die ansonsten nicht an die Oberfläche kommen würden.

 

Da die Meldung von Verstößen mit Risiken und Unannehmlichkeiten für den Whistleblower einhergeht, ist die ganz neue Compliance-Regelung auf den Schutz der Personen ausgerichtet, die Anzeigen über Verstöße gegen das Unionsrecht erstatten. Diese Regelung soll von den Mitgliedstaaten bis Ende 2021 umgesetzt werden.

 

Die neue Regelung wird sich direkt auf einen Teil der Unternehmen auswirken, soweit bestimmte Unternehmen interne Politiken und Verfahren etablieren sollen, die es bestimmten Kategorien von Personen („Whistleblowern“) möglich machen, vermutliche Rechtsverstöße in der entsprechenden Organisation zu melden. Die Regelung selbst ermöglicht eine positive disziplinierende Wirkung auf das Management bei der Einhaltung der Regeln.

 

Juristisch ist die neue Regelung mit der Umsetzung der Richtlinie 2019/1937/EU zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (die Richtlinie) verbunden. Die Idee dieses europäischen Rechtsrahmens besteht darin, die gemeldeten Rechtsverstöße, die Kategorien von Personen, die Meldungen erstatten können, das Meldeverfahren, die Schutzmaßnahmen und die dafür zuständigen Behörden zu regeln.

 

Besonders wichtig für die Geschäftskreise ist der sog. materielle Anwendungsbereich unseres innerstaatlichen Gesetzes, d. h. welche Verstöße und in welchen Bereichen gemeldet werden können.

 

Diese Frage ist auf lokaler Ebene zu verfolgen, soweit derzeit die Mitgliedstaaten die Wahl haben Verstöße in den in der Richtlinie aufgezählten Bereichen (z. B. Vergabe von öffentlichen Aufträgen, Finanzdienstleistungen, Wettbewerb, Steuern usw.) zu melden oder den Anwendungsbereich auf Rechtsverstöße jedweder Art gegen das Unionsrecht und das innerstaatliche Recht zu erweitern.

 

Bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs des innerstaatlichen Gesetzes wird die Verwaltungslast für die Wirtschaftsteilnehmer zwangsläufig höher sein. Daher ist ein schrittweises Herangehen zu empfehlen. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs wurde in mehreren europäischen Staaten, darunter Frankreich, Schweden, Tschechien und Irland, vorgesehen. In einigen Staaten ist es sogar möglich, Verstöße gegen Verhaltensregeln zu melden (USA).

 

Die Kategorie der Whistleblower ist in der Richtlinie sehr breit gefasst und umfasst die Arbeitnehmer, Aktionäre, Mitglieder von Verwaltungsorganen usw. wie auch Dritte (Personen außerhalb der Organisation): Selbständige, Lieferanten, Subunternehmer, Freiwillige, bezahlte und unbezahlte Praktikanten, Personen, die ein vorvertragliches Verhältnis eingehen u. a.

 

Im Hinblick auf den so festgesetzten Kreis von „Enthüllern“ werden rein juristisch eine immense Kasuistik und eine Vielfalt von Fällen unredlichen Verhaltens von Whistleblowern erwartet. Als Schutzmaßnahme gegen ein solches Verhalten wird in der Richtlinie geregelt, dass die Whistleblower vernünftige Gründe haben sollen, um annehmen zu können, dass ihre Behauptungen im Hinblick auf potentielle Verstöße auch wahrhaftig sind. Keine eindeutige Antwort kann auf die Frage gegeben werden, ob dies ein hinreichend sicherer Schutz gegen Missbrauch ist. Um Willkür zu vermeiden, sollen die Whistleblower ernsthafte Gründe für ihre Meldungen nachweisen können.

 

Im Allgemeinen ergeben sich aus der Richtlinie Pflichten für die Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern d. h. die kleinen und Mikrounternehmen bleiben dabei vorerst ausgeschlossen. Wiederum im Ermessen der Mitgliedstaaten kann dieser Schwellenwert herabgesetzt werden. Für einen derartigen Ansatz hat sich Tschechien entschieden. Dort liegt der Schwellenwert bei 25 Arbeitnehmern.

 

Auf großes Interesse in der Praxis wird auch der Schutz der Whistleblower stoßen. Es handelt sich dabei um das sog. „Verbot der Gegenhandlungen aus Rache (retaliation)“, das Maßnahmen wie Verbot der zeitweiligen Entfernung, Freistellung, Entlassung, Verbot der Übertragung von Pflichten, Änderung des Arbeitsorts, Lohnminderung, Verhängung oder Anwendung einer Disziplinarmaßnahme, ungerechte Behandlung u. a. umfasst.

 

Im Hinblick der Organe, die zur Annahme von externen Meldungen befugt sein werden, wird in Bulgarien wahrscheinlich eine Sondereinrichtung vorgesehen, die unabhängig von der Exekutiven sein wird und als „Briefkasten“ funktionieren wird. Diese Sondereinrichtung wird die Meldungen an die zuständigen Behörden weiterleiten. Für einen solchen Ansatz haben sich die Niederlande mit ihrer Dutch Whistleblowing Authority entschieden. Natürlich wird es weiterhin möglich sein, Verstöße an die jeweiligen zuständigen Behörden zu melden – Verbraucherschutzbehörde, Diskriminierungsschutzbehörde, Wettbewerbsschutzbehörde u. a.

 

Da die Richtlinie in unser innerstaatliches Recht bis Mitte Dezember 2021 umgesetzt werden muss, wird der Ansatz des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung der neuen Regelungen von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die Unternehmen sollen die gesetzgeberische Entwicklung aufmerksam verfolgen, damit sie rechtzeitig interne Compliance –Maßnahmen einleiten können. Aus diesem Grund soll das neu gewählte Parlament schnelle und rechtzeitige Maßnahmen noch in diesem Jahr ergreifen und dieses Thema mit Priorität behandeln.

 

Asen Apostolov     Ana Krusteva