1. Allgemeine Anmerkungen

 

Die Praxis zeigt, dass das Urteil der Investoren für reale Investitionsmöglichkeiten von den spezifischen Bedingungen abhängt, die sie in einem Land vorfinden oder die ihnen angeboten werden.

 

Die Investitionsmöglichkeiten stehen in direktem Zusammenhang mit dem bestehenden allgemeinen Rechtsrahmen und dem Grad der Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit, dem Vorhandensein staatlich geförderter Investitionsgebiete (wie Industrieparks und zollfreie Zonen) sowie dem Vorhandensein und der erfolgreichen Umsetzung von Rechtsvorschriften, die die Investitionstätigkeit direkt unterstützen.

 

Selbstverständlich, wie in anderen Ländern, auch in Bulgarien gibt es bereits prioritäre Investitionsbereiche, die sich in den letzten Jahren etabliert haben.

 

2. Allgemeiner Rechtsrahmen

 

Zweifellos hat Bulgarien in den letzten 15 Jahren seinen Rechtsrahmen fast vollständig an den der fortgeschrittenen EU-Mitglieder angeglichen.

 

Es wurden fortschrittliche Gesetze verabschiedet, wie das Handelsgesetz (ähnlich dem deutschen), das eine zeitgemäße Insolvenzordnung einschließt, ein Gesetz über öffentliche Ausschreibungen und ein Konzessionsgesetz.

 

Es wurde ein zentrales, transparentes elektronisches Unternehmensregister geschaffen, mit dem die aufwändige und unvorhersehbare gerichtliche Registrierung abgeschafft wurde.

 

Gewerbliche Unternehmen werden jetzt einfach, schnell und unter den gleichen Bedingungen registriert.

 

Ausländische natürliche und juristische Personen werden grundsätzlich den inländischen gleichgestellt, auch beim Erwerb von Grundstücken (mit Ausnahme von landwirtschaftlichen Flächen, die nur von natürlichen Personen erworben werden können).

 

Mit Ausnahme der Bulgarischen Entwicklungsbank ist das Banksystem vollständig privat, wobei die Banken nach europäischen Kriterien und Standards arbeiten und somit ihre Kunden maximal erleichtern.

 

Ein beschleunigtes Insolvenzverfahren steht zur Verfügung und ein wirksames System zur Verwertung von Vermögenswerten. Es gelten strenge Anforderungen an die Arbeit von Insolvenzverwaltern sowie ein Schutz gegen unlautere Gläubiger.

 

Die Regelungskraft des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs umfasst die Rechte und Pflichten der Kommission für Wettbewerbsschutz, damit die vertikalen und horizontalen Kartellvereinbarungen sowie der Missbrauch von Monopolen und marktbeherrschenden Stellungen wirksam bekämpft werden. Zu diesem Zweck verfügt die Kommission für Wettbewerbsschutz über außerordentliche Befugnisse und kann mit gerichtlicher Genehmigung eigene Ermittlungen durchführen und Beweise erheben, darunter auch Durchsuchungen von Räumlichkeiten und/oder Fahrzeugen und der Beschlagnahme von Dokumenten.

 

Das vollständig liberalisierte Telekommunikationssystem, die Mölichkeit den Mobilfunkbetreiber frei zu wechseln und die Infrastruktur zu nutzen, die für die meisten Investoren überraschend gute landesweite Internetabdeckung, unterstützen die Unternehmen zusätzlich.

 

Die 2005 eingeführte Pauschalsteuer von 10 % schafft nach wie vor Investitionsvorteile. Sie hat die „Schattenwirtschaft“ von rund 60 % auf unter 25 % drastisch reduziert, was die Staatseinnahmen rasch erhöht hat.

 

Jetzt erstattet der Staat die Steuerkredite relativ schnell, aber es besteht immer noch die unangemessene Regelung, dass der gutgläubige Steuerzahler für den säumigen Steuerzahler „verantwortlich“ gemacht wird, indem er, auch wenn unschuldig, seinen Steuerkredit nicht erstattet bekommt.

 

Investoren sollten daher ihre Partner und Lieferanten sorgfältig bewerten und auswählen.

 

Die Einführung eines transparenten Zentralregisters für das öffentliche Auftragswesen, die elektronische Abwicklung der Vergabeverfahren und die volle Transparenz des Schriftverkehrs mit den Bietern, der Verträge und ihrer Ausführung, sind ein wirksames Mittel gegen schlechte Praktiken.

 

Das Kriterium des „niedrigsten Preises“ anstelle der „wirtschaftlich günstigsten Bedingungen“ schreckt jedoch häufig ernsthafte Bieter ab, während es ungleiche Bedingungen schafft, da der erfolgreiche Bieter den Preis in direkten Verhandlungen um bis zu 20 % erhöhen kann.

 

Die Methode der direkten Verhandlung und der Bewertung der „wirtschaftlich günstigsten Bedingungen“ ist viel fairer und vorteilhafter für den Staat, schreckt respektable Bieter nicht ab und verbessert das Endergebnis der Vergabe öffentlichen Auftrags.

 

Die liberalisierte Währungsregelung und die klaren Bedingungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen sorgen zusätzlich für die notwendige Stabilität.

 

Es liegt auf der Hand, dass die hervorragenden Bedingungen, die für Investitionen und Unternehmen geschaffen wurden, nur dann zum Tragen kommen können, wenn und soweit die Rechtsstaatlichkeit gewährleistet ist.

 

Nach der Verabschiedung der Verfassung von 1991 wurde der für jedes demokratische System grundlegende Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung angenommen. Leider wurden damals jedoch nicht genügend Garantien für die Unabhängigkeit aller Gewalten geschaffen.

 

Erst im Jahr 2015 wurden die Voraussetzungen für eine tatsächliche Unabhängigkeit geschaffen.
Wie in einigen anderen europäischen Ländern ist die Staatsanwaltschaft ein integraler Bestandteil der Justiz.

 

Es wurden ein Oberster Justizrat mit einem einheitlichen Plenum sowie unabhängige Richter- und Staatsanwaltskammern eingerichtet. Die Funktionen der Aufsichtsbehörde, die die Rechtschaffenheit von Richtern und Staatsanwälten sowie das mögliche Vorhandensein von Interessenkonflikten überprüft, wurden erweitert.

 

Das Ziel – zügige, professionelle, faire und vorhersehbare Gerichtsentscheidungen und -urteile ohne Einmischung von außen – wurde in der Tat weitestgehend erfüllt.

 

Das Wichtigste wurde erreicht – die Unumkehrbarkeit des Prozesses.

 

Dies schafft Sicherheit und Vertrauen bei den Investoren.

 

Es stehen neue Verfassungsänderungen an, die einerseits die Unabhängigkeit des Gerichts stärken und andererseits wirksame Mittel zur Rechenschaftspflicht und Kontrolle des Generalstaatsanwalts und der Staatsanwaltschaft vorsehen und so das gewünschte Gleichgewicht zwischen dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, die zusammen die Justiz bilden, herstellen. Dies steht in vollem Einklang mit den Empfehlungen der Venedig-Kommission.

 

Die anderen zur Diskussion stehenden Verfassungsänderungen sollten jedoch angesichts ihrer großen Auswirkungen auf die Gesellschaft sehr gut durchdacht sein und nicht ohne tiefgreifende Argumente und Gründe umgesetzt werden.

 

Die erfolgreiche Umsetzung der Compliance-Regelungen: Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), Geldwäschebekämpfung, Whistleblowing, Cybersicherheit, Environmental, Social and Governance (ESG) und Greenwashing ist jetzt eine besondere Herausforderung, da es für das Land nicht gut funktioniert, sie wortwörtlich umzusetzen oder eine noch strengere Regulierung vorzusehen, als in den Richtlinien gefordert./ „gold plated“/

 

Die Anwendung der Richtlinien muss an die spezifischen Möglichkeiten und Bedürfnisse angepasst werden, um die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Wirtschaftssektoren nicht zu beeinträchtigen.

 

In Bulgarien gelten die höchsten Standards für den Schutz personenbezogener Daten, und jeder Einzelne hat die volle Kontrolle über seine personenbezogenen Daten.

 

Dafür garantieren unter anderem das Gesetz, die Fachkommission und die verbindliche Rechtsprechung.

Dennoch gibt es im Hinblick auf bestimmte Details wie Aufbewahrungsfristen, Verjährungsfristen und spezifische Regeln für die Datenverarbeitung lokale Besonderheiten.

 

Was die freie Meinungsäußerung im Zusammenhang mit Literatur und Journalismus betrifft, so hat Bulgarien von den im Rahmen der DSGVO zulässigen Ausnahmen Gebrauch gemacht.

 

Im Bereich der Geldwäschebekämpfung gibt es Besonderheiten in Bezug auf den Umfang der Offenlegungspflichten für wirtschaftliche Eigentümer, Vorschriften über die Herkunft von Geldmitteln usw.

 

Es ist daher immer ratsam, lokale Fachleute hinzuzuziehen.

 

In Anbetracht des historischen Hintergrunds hat auch die Whistleblowing-Regelung ihre Besonderheiten.

 

Die zusätzliche erfolgreiche Umsetzung von öffentlich-privaten Partnerschaften kann ein starker Entwicklungsfaktor sein, indem die Initiative des privaten Sektors maximal zum Tragen kommt.

 

Diese Möglichkeit wird in Bulgarien immer noch unterschätzt, aber der Beginn der Diskussionen zu diesem Thema ist ermutigend und die gewünschten Ergebnisse können bald erwartet werden.

 

3. Industrieparks und zollfreie Zonen

Parallel zur Schaffung des erforderlichen Rechtsrahmens in Bulgarien haben sich Industrieparks und zollfreie Zonen als sehr erfolgreich erwiesen. Sie verbessern das Unternehmensumfeld erheblich, da sie die nahtlose Konzentration von Finanz-, Produktions- und Personalressourcen auf die errichtete moderne Infrastruktur gewährleisten und die Möglichkeit bieten, von Vereinfachungen bei der Planung, den Genehmigungen, den technischen und organisatorischen Aspekte zu profitieren.

 

Laut Gesetz müssen die Parks mindestens 30 Hektar groß sein, wobei Investitionen in diese Parks den Verwaltungsaufwand erheblich verringern. Darüber hinaus unterstützt der Staat mit Elementen der notwendigen technischen Infrastruktur, der Erstattung eines Teils der Sozialversicherungsbeiträge für manche Beschäftigte und der Erleichterung beim Kauf oder Pachten von Grundstücken (ohne Versteigerung oder Wettbewerb), und zwar zu weit unter dem Marktniveau liegenden Preisen.

 

Bislang wurden 18 Industrieparks gebaut und in Betrieb genommen.

 

Darüber hinaus wurden in Bulgarien sechs zollfreie Zonen eingerichtet, die sich nicht nur in der Nähe von Grenzübergängen (Dragoman, Svilengrad), sondern auch in großen Städten wie Plovdiv, Burgas und Russe befinden.

 

Auf dem Gebiet der zollfreien Zonen werden bei der Ausübung von Geschäftstätigkeiten (Produktion, Handel, Dienstleistungen, Lagerung, Verladung und Transport von nicht steuerpflichtigen Gütern, Bank- und Versicherungstätigkeiten usw.) keine Steuern und Zölle erhoben, während die Investoren bei allem, was sie benötigen, einschließlich der Suche nach Arbeitskräften, unterstützt werden.

 

4. Prioritäre Sektoren für Investitionen

4.1. Kommunikationstechnologien

In Anbetracht der hohen Konzentration von IT-Fachleuten in Bulgarien (30 % aller IT-Fachleute in Europa) sind die Chancen für das Land bei einer Umsetzung des Gesetzes über künstliche Intelligenz, zu einer Drehscheibe für die Entwicklung der Industrie 4.0 zu werden, enorm.

 

Die Entwicklung der Informations- und Telekommunikationstechnologien, die vollständige Digitalisierung und die angemessene Nutzung der künstlichen Intelligenz stellen ein enormes Potenzial für die Entwicklung nicht nur von Sektoren wie Maschinenbau, Elektronik und Elektrotechnik, sondern auch von Leichtindustrie und Landwirtschaft, die in Bulgarien ebenfalls gut etabliert sind, dar.

 

Dieser Sektor beschäftigt heute etwa 35.000 Fachleute in über 3.000 Unternehmen, die sich vor allem in Sofia, Plovdiv, Varna, Burgas und Russe befinden.

 

4.2. Energiewirtschaft

In Anbetracht der Tatsache, dass in den nächsten zehn Jahren mehr als 5.000 MW an Kohlekraftwerksleistung in Bulgarien durch erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff und andere alternative kohlenstoffarme Stromquellen ersetzt werden müssen, werden rund 30 Milliarden Euro an neuen Investitionen benötigt.

 

Dies ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance für ausländische Investoren, die sich mit ihrer Erfahrung und ihren Fähigkeiten in diesem Bereich einbringen können.

4.3. Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie

 

Die früher für Bulgarien traditionellen Sektoren wie die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie gewinnen angesichts des wachsenden Interesses an einer nachhaltigen und ökologischen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion wieder an Bedeutung. 

 

4.4. Maschinenbau und Transportausrüstung

 

Weitere prioritäre Investitionsbereiche sind Transportmittel und Maschinenbau, wobei sich die Produktion von Ersatzteilen für Autos, die Produktion von Elektroautos, Elektromotoren und Elektrofahrrädern aufgrund der Erfahrung und der Verfügbarkeit von Personal als besonders geeignet erweist.

4.5. Transport, Logistik, Gesundheitswesen und Pharmazie 

Nicht zu vernachlässigen sind auch die Bereiche Transport und Logistik sowie Gesundheitswesen und Pharmazie, die in den letzten Jahren ebenfalls ein anhaltendes Wachstum verzeichnet haben.

 

Die hervorragenden balneologischen Bedingungen in Bulgarien und die zahlreichen Mineralquellen unterstützen wesentlich diesen Trend.

 

Infolge dieser Gesetzesreformen, einschließlich der erfolgreichen Steuerreform und der erfolgreichen Privatisierung (heute befinden sich über 70 % der Wirtschaftstätigkeit in privater Hand), wuchs das BIP im Jahr 2022 im Vergleich zu 2007 um 300 %, d. h. von 56 Mrd. BGN auf 168 Mrd. BGN, und im Jahr 2023 wird es voraussichtlich 200 Mrd. BGN erreichen.

 

Allein diese Dynamik spricht dafür, wie zuverlässig Bulgarien als Investitionsstandort ist.

5. Staatliche Unterstützung

 

Nach dem Investitionsförderungsgesetz stellt der Wirtschaftsminister je nach Umfang der Investition Zertifikate „Klasse A“ und „Klasse B“ sowie Zertifikate für „vorrangige Investitionsprojekte“ aus.

 

Davon hängt der Umfang der staatlichen Unterstützung ab.

 

In jedem Fall bietet der Staat Verwaltungsleistungen in verkürzten Fristen, individuelle Verwaltungsdienste, einen einfacheren Erwerb von Immobilien, finanzielle Unterstützung für Infrastruktur und Ausbildung sowie eine Teilerstattung der von den Arbeitgebern gezahlten Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer.

 

Neben den bereits aufgezeigten Erleichterungen, die der Staat, wie oben erwähnt, in den Industrieparks gewährt, stellt er viele Ressourcen zur Verfügung, um im Vorfeld die besten Voraussetzungen für mögliche zukünftige Investoren zu schaffen.

 

Das elektronische Register der Industrieparks hilft, sich in dieser Hinsicht besser zurechtzufinden.

 

6. Abschließende Anmerkungen

Oft wird Bulgarien von manchen Beobachtern als ein Land an der Peripherie Europas beschrieben, was zwangsläufig ein geringeres Interesse für Investoren suggerieren mag.

 

Immer mehr Unternehmer aus Europa und der Welt erkennen, dass angesichts der Tatsache, dass die Türkei, die Ukraine und Moldawien für die Europäische Union von wachsendem wirtschaftlichem Interesse sind und auch Serbien und Nordmazedonien ein Anziehungspunkt darstellen, Bulgarien, insbesondere aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union, eine zentrale Lage hat, mit seinen Nachbarn, Rumänien und Griechenland, die ebenfalls Mitglieder der Europäischen Union sind.

 

Positiv hervorgehoben wird die proaktive Rolle des Staates bei der Finanzierung des Baus von Industrieparks und zollfreien Zonen, unter anderem mit Mitteln aus dem Aufbau- und Resilienzplan und zusätzlicher Unterstützung aus europäischen Struktur- und Investitionsfonds.

 

Das wird von Investoren, die den für sie am besten geeigneten Standort suchen, zunehmend wahrgenommen.

 

Deshalb überzeugen die günstigen rechtlichen Bedingungen, die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und die proaktive Unterstützung des Staates durch diverse Vergünstigungen immer mehr Unternehmer und Investoren davon, dass Bulgarien, obwohl es oft unterschätzt wird, ein ausgezeichneter Ort für Investitionen ist.

Vladimir Penkov

"Veröffentlicht in ZASA • Zeitschrift für das Recht der Außenwirtschaft, Sanktionen und Auslandsinvestitionen; 7/2023; 18.12.2023"