14-01-2022
Lässt die EU eine unterschiedliche Warenqualität zu?
Häufig wird in der Öffentlichkeit mit Besorgnis über eine mögliche unterschiedliche Qualität von denselben Erzeugnissen, die unter derselben Marke auf den EU Märkten gehandelt werden, diskutiert.

Eines der wichtigsten Ziele der EU besteht zweifellos in der Gewährleistung des freien Warenverkehrs bzw. des Aufbaus eines Binnenmarkts, der Innovationen auf den Produktmärkten, die Schaffung von mehr Möglichkeiten für die Unternehmen und eine größere Auswahl für den europäischen Verbraucher fördert.

 

Da die Verbraucher frei sind, Produkte ihrer Wahl zu kaufen, sollen die Wirtschaftsteilnehmer auch Freiheit bei dem Marktangebot und dem Vertrieb von Waren mit unterschiedlicher Zusammensetzung und/oder unterschiedlichen Merkmalen genießen, vorausgesetzt sie befolgen dabei das EU-Recht.

 

Besorgniserregend ist aber, wenn auf dem ersten Blick identische Waren, jedoch mit unterschiedlicher Zusammensetzung und unterschiedlichen Merkmalen im Angebot sind und auf diese Weise die Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung irregeführt werden. Durch diese Irreführung der Verbraucher und die Verzerrung der Nachfrage wird auch das normale Funktionieren des Wettbewerbs auf den Märkten bedroht.

 

Die Frage nach der unterschiedlichen Qualität steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Wesen und der Funktionsweise des Binnenmarkts und dem Vertrauen der Verbraucher. Mit anderen Worten, die Verbraucher stellen einen Zusammenhang zwischen Marke, Produkt und Qualität her und erwarten dabei, dass ein Produkt derselben Marke und/oder derselben äußeren Erscheinung die gleiche Qualität aufweist, egal in welchem Mitgliedstaat es vertrieben wird.

 

Obwohl es sich dabei um Angebot und Nachfrage handelt, gibt es genügend Fälle, in denen dieselben Produkte, als identisch angeboten, jedoch mit unterschiedlicher Qualität, Beschaffenheit, mit unterschiedlichem Geschmack oder sonstigen divergierenden Merkmalen zu Preisen angeboten werden, die sich stark in den einzelnen Mitgliedstaaten unterscheiden und auch manchmal höher für minderwertigere Produkte sind. Besorgniserregend sind auch die Ergebnisse von Laboruntersuchungen, aus denen hervorgeht, dass die qualitativ minderwertigeren Produkte mit weniger gesunder Zusammensetzung sind. Dadurch wird gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Verbraucher verstoßen und ihre Gesundheit auf Risiko gesetzt.

 

Bis vor kurzem fehlte im EU-Recht eine ausdrückliche Regelung des Angebots von Waren unterschiedlicher Qualität. Die EU rechnete damit, dass das Problem durch die Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften, die andere öffentliche Beziehungen regeln und in einer indirekten Beziehung zu der unterschiedlichen Warenqualität stehen, gelöst werde. Zum einen gingen die Erwartungen dahin, dass dies durch die Gewährleistung der Sicherheit der Lebensmittel erreicht wird. Zum anderen sollten die Verbraucher über das Warenangebot besser informiert werden und zum Dritten durch Mechanismen, die gewährleisten, dass die Verbraucher nicht irregeführt oder einem aggressiven Marketing ausgesetzt werden.

 

Leider führte dieses indirekte und nicht fokussierte Herangehen der EU nicht zum gewünschten Ergebnis bei der Entscheidungsfindung bezüglich des Angebots von Waren unterschiedlicher Qualität. Dies wurde durch eine Untersuchung der Kommission bestätigt, bei der Mitte 2019 eine unterschiedliche Zusammensetzung bei ca. einem Drittel der geprüften Lebensmittel festgestellt wurde. Diese Unterschiede gehen nicht aus den Informationen auf der Verpackung hervor. Anfang 2021 wurde festgestellt, dass bei mehr als die Hälfte der untersuchten Lebensmittel beträchtliche Unterschiede im Geschmack bei den unterschiedlichen nationalen Versionen desselben Produkts bestehen.

 

Als Reaktion auf die dringende Notwendigkeit einer ausdrücklichen Regelung des Angebots von Waren unterschiedlicher Qualität hat die EU durch ihre gesetzgeberischen Organe die Richtlinie 2019/2161/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 verabschiedet, mit der die Richtlinie 2005/29/ЕG über unlautere Geschäftspraktiken geändert wurde. Hinzugefügt wurde eine Bestimmung, wonach das Angebot von identischen Waren derselben Marke in den verschiedenen Mitgliedstaaten als irreführende Geschäftspraktik gilt, wenn „beträchtliche Unterschiede in der Zusammensetzung oder bei den Merkmalen“ bestehen. Obwohl dieser Wortlaut sich unterschiedlich auslegen lässt, wird auch die legitime Ausnahme vorgesehen, wenn ein Gesetz oder objektive Unterschiede dies begründen. In beiden Fällen fehlen aber eine Begriffsbestimmung  und Kriterien, wodurch die strikte Anwendung dieser Vorschrift bedeutend erschwert wird.

 

Es ist nicht klar wie die innerstaatlichen Behörden im Einzelfall handeln sollen, was sie beträchtlich bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts hindert.

 

Von Schlüsselbedeutung bei der Lösung des Problems mit der unterschiedlichen Warenqualität wäre die Aufstellung von Regeln für das Anbieten genauer und leicht verständlicher Informationen über die unterschiedliche Zusammensetzung der Produkte an die Verbraucher. Zur Vermeidung des Risikos der Irreführung der Verbraucher könnten auch Regelungen verabschiedet werden, die ein Verbot vorsehen. Dies soll in den Fällen gelten, in denen ein Unternehmen auf den Markt eines anderen Mitgliedstaats ein Produkt bringt, das sich in bestimmten Merkmalen vom lokalen „Original“ unterscheidet. Ein solches Produkt soll nicht dieselbe Marke tragen und dieselbe Kennzeichnung aufweisen. Die Erzeuger könnten ein Logo auf die Verpackung anbringen, aus dem ersichtliche wird, dass der Inhalt und die Qualität der Produkte mit derselben Marke in den einzelnen Mitgliedstaaten gleich sind.

 

Es bleibt noch abzuwarten, ob durch das neue ausdrückliche, jedoch aber knappe gesetzgeberische Ansatz der EU das Angebot von Waren als identisch, jedoch mit unterschiedlicher Zusammensetzung und/oder unterschiedlichen Merkmalen auf ein Minimum herabgesetzt wird, da die Mitgliedstaaten die geänderte Richtlinie 2019/2161/EU bis 28.11.2021 umsetzen sollen.

 

In diesem Zusammenhang wurde ein Gesetzentwurf über die Änderung und Ergänzung des Verbraucherschutzgesetzes vorgelegt. Die öffentliche Diskussion darüber ist abgeschlossen und der Gesetzentwurf wird demnächst der Volksversammlung vorgelegt.

 

Es scheint aber, dass der bulgarische Gesetzgeber die Bestimmungen der Richtlinie wieder mal nur wörtlich wiedergegeben und seine Pflicht für deren Umsetzung ins bulgarische Recht förmlich erfüllt hat. Wie bereits erwähnt, wäre auf diese Weise das gewünschte Ziel, keine Produkte gleichen Aussehens und unterschiedlicher Qualität auf den Markt zu bringen, kaum erreicht. Das Kennzeichnen von einigen Unterschieden mit Kleinschrift auf der Etikette wäre nicht eine Lösung des Problems. Der bulgarische Gesetzgeber soll vielmehr die Problematik so regeln, dass die gleiche Qualität der angebotenen Produkte effizient gewährleistet wird. Natürlich sind klare diesbezügliche Regelungen der EU der Mühe wert, da die jetzt geltenden Regelungen keine Lösung des Problems ermöglichen.

 

Vencislav Semkov 

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